1972, nach dem Besuch einer Friedensfahrt–Etappe im Geraer Stadion, habe ich mich mit ein paar anderen Jungs beim Radsport angemeldet. Das war die SG Dynamo Gera-Mitte.
Meine Elter wollten nicht, dass ich zu Dynamo Berlin delegiert werde, denn dann hätte ich das Elternhaus mit gerade einmal 13 Jahren verlassen müssen.

So wäre meine Radsportlaufbahn fast beendet gewesen, wenn in meiner Heimatstadt im Herbst 1973 nicht eine neue Sportgemeinschaft gegründet worden wäre: Die SG Wismut Gera als Trainingszentrum für Radsport und Boxen. 

Für die damals 13 bis 18-jährigen war Werner Marschner als Trainer zuständig. Männerfahrer gab es zu der Zeit bei uns noch nicht. 1975 bin ich in die B-Jugend gekommen und wäre normalerweise zwei Jahre in dieser Altersklasse gefahren. Leider wurde jedoch die damals übliche Klasseneinteilung vom Geburtsjahr zur Schulklassen–Zugehörigkeit geändert. Das hatte für mich die missliche Folge, dass ich 1976 quasi im nullten Jahr in der A-Jugend starten musste. Hier „durfte“ ich dann drei Jahre fahren. Da ich körperlich noch sehr klein war, hielt sich meine Freude darüber im Grenzen und ich kämpfte bei den ersten Rennen sprichwörtlich „ums Überleben“. 

Mein erstes Jahr mit „den Großen“ der A-Jugend war so alles andere als schön, lustig oder erfolgreich. Das sollte sich 1977 ändern, als ich für die Nationalmannschaft nominiert wurde und es zu den Jugendwettkämpfen der Freundschaft in Kuba und den Junioren–Weltmeisterschaften in Wien schaffte. Hier konnte ich beide Male im Strassenvierer starten und gewinnen.

Gerade der erste Junioren–Weltmeistertitel hatte eine entscheidende Bedeutung für mich und meine weitere Einstellung und Motivation. Da wir mittlerweile auch Männerfahrer im Club hatten, wurde 1978 Siegfried Huster mein Trainer.

In Schleusingen holte ich meinen ersten Einzeltitel. Auf einem nicht gerade flachen Kurs wurde ich DDR–Meister der A-Jugend und erhielt einen goldenen Siegerkranz. Das war immer mein Traum, seit ich mit dem Radsport begonnen habe.

Der Übergang zur Männerklasse erfolgte 1979 und hier wurde ich wieder von Werner Marschner trainiert, was sich als sehr gut für mich erwies. Ich wurde, auch für mich überraschend, in den Olympiakader für Moskau 1980 berufen und war darauf sehr stolz. Noch im Herbst 1978 hatte ich mir selbst allerdings keine realistische Chance auf eine Teilnahme ausgerechnet. Als ich aber 1979 als Ersatzfahrer für den später siegreichen WM–Vierer nominiert wurde, sah ich doch eine Chance für Olympia und trainierte noch bewusster und härter.

Das zahlte sich aus. Denn 1980 schaffte ich meine erste Friedensfahrt Teilnahme. Mein Kindheitstraum wurde Wirklichkeit – und wie: Vier Etappensiege und Platz drei der Gesamtwertung sowie viele Siege in den Zeitfahren waren die Grundlage, dass ich im Strassen-Vierer in Moskau mit am Start stand. Silber, mit acht Zehntelsekunden vor dem Dritten war das Optimum an diesen Tag. Die Sowjetunion war für uns unschlagbar und somit die Niederlage auch schnell zu verkraften.
2 Jahre später war ich Sieger der Gesamtwertung und wir gewannen die blauen Trikots als Zeichen der besten Mannschaft. Die letzen blauen Trikots der DDR Mannschaft lag lange Zeit zurück. Es war ein tolles Jahr.

Mit den Erfolgen ging es immer weiter und grundsätzlich gab es mehr Licht als Schatten. 1980 wurde ich bei der Wahl zu den erfolgreichsten Amateurfahrern der französischen Zeitung L` Equipe Fünfter und durfte zur Auszeichnung nach Paris fliegen. Wow, ohne Fahrrad im westlichen Ausland, das hatte es noch nie gegeben. Diese drei Tage waren damals etwas Ungewöhnliches und sehr schön. 1983 gewann ich diese Wahl sogar. Allerdings durfte ich diesmal nicht zur Ehrung in Paris, um die „Goldene Palme“ persönlich in Empfang zu nehmen. Mir wurde die Auszeichnung auch nicht nachgereicht. Die DDR–Sportfunktionäre bemühten sich gar nicht darum und so blieb mir nur das Wissen, einmal „Weltradsportler der Amateure“  gewesen zu sein – traurig.

1984 kam die nächste große Enttäuschung. Erst die Absage zu den Olympischen Spielen in Los Angeles und dann ein „sogenanntes Ersatzrennen“ auf den Schleizer Dreieck. Hier durften, wie bei den Olympischen Spielen nur drei DDR–Fahrer antreten, 33 Starter waren es insgesamt – und für 30 von ihnen hiess: Nur nicht mit Ludwig zum Sprint kommen. Ich war in einer überragenden Form, hatte aber taktisch gesehen nie eine Chance. So wurde ich am Ende Sechster und war masslos frustriert und wütend. Zumal sich auch  die anschließenden Ehrungen, Auszeichnungen und Anerkennungen, auch finanzieller Art, sich ausschließlich nach dem Abschneiden in diesem einen Rennen richteten.

Direkt nach dem Rennen war der Gedanke aufzuhören sehr stark. Nun zeigte sich wieder einmal das umfassende Geschick meines Trainers Werner Marschner. Nach vielen Gesprächen und Diskussionen schaffte er es, mir neue Ziele vermitteln – und die innere Wut auf die Sportfunktionäre hatte sich verringert.

Zur Winterbahn in Berlin bin ich immer gern gefahren. Das 4000–m–Einzelturnier um die DDR–Hallenmeisterschaft war für mich aber immer eine unangenehme Disziplin. Nicht weil es mir schwer viel, nein, damals wurde noch mit Qualifikation und weiteren vier Läufen gefahren, was immer eines umfangreichen Warmfahrens auf der Rolle bedurfte. Diese war nicht gerade „meins“. Meine Zielzeit laut ITP (Individueller Trainings Plan) konnte ich nie mit einem Lauf erreichen. Dafür war ich zu gut und musste sicherlich vier bis fünf Mal  starten.
Zur Saison 1985 bin ich in die Werner Seelenbinder Halle gefahren, im Bewusstsein, wer DDR-Meister werden will, muss mich schlagen. Ich wurde in diesem Jahr 4000m Hallenmeister, was mir in den darauffolgenden drei Jahren noch zweimal gelang. Mein Trainer konnte feststellen: Ich bin wieder da und in „der Spur“.

Zwischen 1985 und 1987 bin ich immer in einer sehr guten Form zu den Strassenweltmeisterschaften gefahren, konnte aber nie erwarteten, vorgegebene, aber auch meine eigenen Ziele zu erreichen.

1988 sollte mein letztes Jahr werden und nach den Olympischen Spielen wollte ich aufhören. Dafür habe ich sehr motiviert und konzentriert das Training absolviert. Meine Trainingseinstellung hat sogar Werner Marschner zu einen anerkennenden Schmunzeln gebracht.

In Seoul gab es zwei Chancen für mich: Das Punktefahren auf der Bahn und im Strassen–Einzel. Die avisierte Medaille wollte ich auf der Bahn holen, da beim Strassenrennen immer auch eine Portion Glück notwendig ist. Es kam ganz anders: Auf der Bahn habe ich mich von den Funktionären in taktischer Hinsicht bequatschen lassen und wurde von 24 Startern 14. Nachdem ich hier bei den Weltmeisterschaften 1986 und 1987 Zweiter und Vierter werden konnte, war das für mich einfach unfassbar. Ich war masslos enttäuscht – ja frustriert.

Mein letztes Rennen als DDR–Leistungssportler war 3 Tage drauf und hier ging ich völlig unbelastet, aber mit gehöriger Wut (auf mich selbst) ins Rennen. Schließlich hatte ich nichts (mehr) zu verlieren. will. Das jedenfalls war meine Einstellung. Am Ende wurde es mein größtes Rennen und der bedeutendste Sieg als Amateur. Dass ich im Olympiajahr auch noch „Sportler des Jahres“ in der DDR wurde, machte mich unheimlich stolz. Denn das ist eine Auszeichnung der Sportfans, Zuschauer und Zeitungsleser gewesen – und nicht von Journalisten oder Funktionären.

Der Gedanke ans „aufhören“ war längst in weite Ferne gerückt, weil die Sportfunktionäre daran interessiert waren, dass ich weiterfahre und ich dem Nationaltrainer einige „trainingsmethodischen Privilegien“ abringen konnte. Ziel waren für mich die Weltmeisterschaften 1990 in Japan. Wie sollte ich sonst mal, als DDR Bürger, nach Japan kommen?

Doch es kam ja ganz anders.